Rätsel: Der Ablauf

Aufgabe: Finde das versteckte Unterthema der Geschichte und dazu drei Belege

Rätsel: Versuche, das versteckte Unterthema der Geschichte zu erkennen.

Finde drei Belege für deine Vermutung.

Der Ablauf

Es war ein bewölkter Tag, an dem sich Nekko endlich dazu entschied, den ersten Spaziergang seit langem zu machen. Am Treppengang sah er zunächst den Kater seines Nachbarn, der seiner Wege schlich: „Nero, wo bist du? Komm her, ksksks“, hörte er den Herrn aus dem Erdgeschoss rufen.

Auf seine Kopfhörer verzichtete Nekko bewusst. Normalerweise ist er geradezu süchtig danach, sich bei jedweder Tätigkeit den Tönen von Rammstein, Metallica, Cannibal Corpse & Co. hinzugeben, doch heute war ihm mehr danach, mal wieder den Gesprächen seiner Mitmenschen zu lauschen, ebenso wie dem Bellen der Hunde, den Lauten der Krähen und Tauben sowie dem Rauschen des Windes, kurzum: dem Rhythmus der Natur.

Nun denn, die ersten Schritte waren getan. Gegenüber im Kindergarten wurde offensichtlich eine Art Feierlichkeit vorbereitet. Zu sehen waren eine Menge emsiger junger Erwachsener, die sehr gewillt waren, ihren Beitrag zu leisten. Einen jungen Mann, der gerade dabei war, Bierbänke aufzubauen, hörte man rufen: „Das wird total cool, die Kinder werden sich so freuen!“

„Es gibt schlimmere Starts als Katzen und Kinder“, dachte sich Nekko.

Nach einer Weile kam er an einem belebten Platz in der Stadtmitte an, einer kleinen Oase, in welcher man dem lähmenden Smog entkommen und sich an einem Fleckchen künstlich geschaffener Natur laben konnte.

In feinster Forrest Gump Manier ließ er sich auf einer Parkbank nieder, lehnte seinen Kopf gegen die Lehne und schloss ein wenig die Augen, zu keiner Sekunde jedoch an Schlaf denkend. Dafür gab es zu zahlreiche Gesprächsfetzen aufzuschnappen, die er ob seiner zuvor lange währenden Einsamkeit immens genoss. „Diese Zwangspause ist wirklich krass. Ich hatte noch nie Home Office und natürlich haben wir keine Headsets, daran dachte wieder keiner.“, sagte eine hip aussehende, Airpod tragende Frau Ende 20 in engen mit Papageien verzierten Leggins.

„Nein, der Hofbräu ist zu touristisch! Wir verlegen in die Brauerei am Kalten Eck, von Gottfried Hoffmann, ich glaube, die heißt, Silberner irgendwas, schau bitte bei Google Maps nach oder besser bei Ecosia und außerdem müssen wir…“, ließ im Vorbeigehen ein bierbäuchiger Mann verlauten, dessen Bart dem eines Druiden glich.

Das war ein guter Tag, um wieder unter Leuten zu sein. Diese Art von Intimität hatte Nekko doch mehr gefehlt, als er sich selbst einzugestehen bereit war.

Der Strom der Menschen hörte nicht auf. Auch, wenn niemand neben ihm saß, gab es genug menschlichen Soziallebens hier in dieser belebten Anlage inmitten des Kreises des Kosmopolitismus.

„Wann ist jetzt eigentlich deine Reise nach Kambodscha, Ronald?“ Diese Worte konnte Nekko niemandem zuordnen, da er die Augen für einen Moment genussvoll geschlossen hielt.

Öffnen wollte er sie erst wieder, als ein altes Ehepaar in schönem Bayerisch miteinander diskutierte. „Heinz, zum Bäcker Esbach geh i nimmer, ei hob di ned a so!“ Das war spannend für den dialektaffinen Nekko. Er bemühte sich, das nur wenige Meter entfernt stehende Paar nicht allzu offensichtlich anzustarren.

„Es is a Kreiz mit dir, Inge! I wui ned zu dem Doik, seit vierzg Joh gehma zum Esbacher Derndl und etz bloß, wei de d’Linken gweit hod, magst nimma…“

„Heinz, bitte, i hob da dees etz scho zigmoi erglärt, i wirf as guade Geid ned am schlechten hinterher. Des wenn mei Vater wissad.“

„Oma, Opa, ihr streitet jetzt nicht ernsthaft wieder wegen eines Stücks Kuchen, oder? Das kann doch nicht wahr sein!“. Nekko musste ein wenig hin und her wackeln, um an einem seit ein paar Sekunden vor ihm stehenden, am Handy tippenden Mann vorbei sehen zu können, um festzustellen, wer sich nun bei den älteren Herrschaften einmischte. Scheinbar der Enkel, schicker junger Mann, der auf sie zuging! Aber musste der vor ihm vegetierende und leicht stinkende Kerl unbedingt jetzt anfangen, zu telefonieren? Das Trio um Bäcker-Gate war viel zu interessant, um von irgendeinem anderen Unsinn übertönt zu werden. Doch das Wirrwarr der verschiedenen Konversationen war aus dieser bequemen Position unvermeidbar, aus der sich Nekko dennoch nicht erheben wollte. Es wäre auch zu auffällig, sich direkt neben die Zankenden zu stellen. So verschwammen die Gespräche.

„Jo, Luke! Hast du mit Tom den Treffpunkt fix gemacht? Alter, das Konzert wird der Übershit!“

„…Parkautomat gesponnen, Opa. Hier sind deine Münzen für…“

„…fähr, Mann? Hallo? Hörst du mich? Wann die Vorband ungefähr loslegt, Dude? Warte, ich geh mal ein paar Schritte, Empfang ist Dreck hier…“

Welch ein Glück für Nekko, der hastig am sich nun entfernenden Mann vorbeisah zu dem unterhaltsamen generationenübergreifenden Trio.

„…dem sei Kuacha schmeggt aah, gell, ei bassts scho! Inge, denk fei erst no an deine Tabletten, gell?“

Sie zogen weiter, zu schade auch! Nun ja, es war ohnehin Zeit, sich langsam auf zu machen. Also erhob sich Nekko und begab sich auf den Heimweg.

Immer diese Handys! Beim Vorbeigehen hörte er eine mit Zwillingen in einem großen Kinderwagen bewaffnete Frau etwas von sich geben: „Ich hoffe sehr, dass er Erfolg haben wird. Wann findet die Eröffnung vom Gewerbe statt? Ungefähr? Naja, dauert ja noch. Aber was ist eigentlich mit der Bürgschaft?“

Nicht spannend genug für Nekko, um dessen Schritte zu entschleunigen. Der Wind wurde ohnehin stärker und bis Sonnenuntergang war auch nicht mehr lange. Heute Abend läuft ein Blockbuster, den es nicht zu verpassen gilt. Vor seinem Haus angekommen konnte er sich nochmal am Anblick Neros ergötzen, der stolz mit einer weißen Taube im Maul Richtung Erdgeschosswohnung seines Herrchens lief. Oben angekommen warf sich Nekko in seinen Schlafanzug und ließ sich mit Wucht ins Bett fallen, während im Hintergrund blass der Fernseher flimmerte.

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